Räumliche Nutzung des Laboratoriums der Ingenieur‐Akademie Wismar 1924, Quelle: [M] Uwe Hansen, Privatsammlung

Von 1908 bis heute – Die Historie der Elektrotechnik in Wismar


Die Wismarer Ingenieur‐Akademie

Anfänge einer experimentell‐wissenschaftlichen Ausbildung

Die historischen Wurzeln der Wismarer Hochschul-Elektrotechnik sowie des Maschinenbaus reichen bis in die Zeit der Wismarer Ingenieur-Akademie zurück. Der Architekt Robert Schmidt sah den Status seines 1908 privat gegründeten Polytechnikums unterhalb der Technischen Hochschulen, aber deutlich oberhalb der damaligen technischen Mittelschulen angesiedelt. Im Fokus stand der stark steigende Bedarf an Ingenieurpersonal für die vielfältigen Produktionsprozesse und deren technologischen Herausforderungen wie auch für die Prüf- und Kontrollaufgaben. Dafür favorisierte man eine praxisorientierte Ausbildung, die anwendungsbereites polytechnisches Wissen vermittelte und zu einer wissen­schaftlichen, selbst­ständigen Arbeitsweise befähigte. Das bedurfte vor allem einer entsprechend geeigneten Lehrbasis, die ein experimentell-wissenschaftliches Arbeiten der Studenten zuließ.

Akademie‐Hauptgebäude in der Wismarer Neustadt von 1908 bis 1935
Auszug aus dem Adressbuch der Hansestadt Wismar von 1937, Seite 212. Quelle: Archiv der Hansestadt Wismar
Anzeige in politischer Satire‐Wochenzeitschrift "Kladderadatsch" um 1915: Ingenieur‐Akademie Wismar wirbt mit den neuen Laboren. Quelle: Uwe Hansen, Privatsammlung
Briefkopf der Ingenieurschule/Ingenieur-Akademie Wismar ab 1939. Quelle: Ratsakten, Archiv der Hansestadt Wismar

Laboratorium im Baumweg nach 1924 (links: Elektrotechnisches Labor, Mitte: Hör‐ und Zeichensaal, rechts: Maschinentechnisches Labor)

Mit dem Gründungsvertrag der Akademie 1908 hatte sich Schmidt den Neubau eines selbst projektierten Laboratoriums zusichern lassen. Nach einer ersten Bauphase wurde am 3. Dezember 1910 zunächst das Elektrotechnische Labor zusammen mit einem Hör- und Konstruktionssaal zur Nutzung übergeben. Für den Maschinenbau folgte bis 1913 das Maschinentechnische Labor. Den Bereich am Baumweg hatte man bewusst gewählt, denn das Laboratorium sollte einen ge­planten, völlig neuen Akademie-Campus an der Schweriner Straße flankieren.
Der 1. Weltkrieg und seine Folgen ließen das Vorhaben jedoch scheitern.

Den Laborbetrieb am Baumweg ergänzend fanden zusätzlich Praktika in städtischen Einrichtungen Wismars wie dem Elektrizitäts- und Wasserwerk statt; später folgten weitere Unternehmen.

Das Elektrotechnische Labor 1910/1911. Quelle: Archiv der Hansestadt Wismar, Crull‐Sammlung, 0570

Ein Großteil der Akademie-Dozenten kam aus der Industrie, weitere wechselten von anderen Bildungseinrichtungen nach Wismar. In den frühen Jahren oblag es oft dem Engagement der Dozenten, sich um eine moderne Laborausstattung zu kümmern. So war es bei der Elektrotechnik ab 1922 Dr.-Ing. Kurt Heinrich, der sein privates Labor samt aller Gerätschaften hier im Laboratorium als Elektro­technisches Institut einbrachte. Das damit vermutlich erste An-Institut der Akademie betrieb am Baumweg unter Heinrich ab 1924 eine der allerersten Versuchsfunkstationen Deutschlands. Neben der Lehre beteiligte sich Heinrich noch an Forschungen, fand dafür materielle Unterstützung bei früheren Industrie­partnern, die wiederum von der bevorzugten Übernahme von in Wismar gut ausgebildeten Absolventen profitierten.

Ab 1934 kam es im Bereich Mecklenburgs zu zahlreichen Umstrukturierungen an und Schließungen von Lehranstalten. 1937 verlor Wismar zwar den Hoch- und Tiefbau an das Technikum Strelitz, profitierte im Gegenzug im Interesse der Rüstungs­industrie von der Übernahme der Abteilungen Elektrotechnik, Maschinen- und Flugzeugbau.

Ab 1939 wurde Wismar eine Reichsanerkannte Ingenieurschule, behielt aber weiterhin den Namenszusatz Ingenieur-Akademie. Ausgewiesen wurden nun die Abteilungen Elektrotechnik, Maschinenbau sowie auch die teils reorganisierten Fachrichtungen des Luftfahrzeug-, Kraftfahrzeug- und Leichtbaus. Mit dem Einrücken der britischen Truppen in Wismar am 2. Mai 1945 war das Ende der Ingenieur-Akademie besiegelt.

Elektrotechnisches Labor im Laboratorium am Baumweg vor 1924, Westfenster
Elektrotechnisches Labor im Laboratorium am Baumweg vor 1924, Ostfenster

Zeitgeschichtliche Dokumente – Laborprotokolle

Handschriftliche Auswertung zum Aufbau von Gleichstrommaschinen, ca. 1920, Verfasser unbekannt

Praktikumsprotokolle des Studenten Prinz,1931 (von links): Grundlagenpraktikum, Kapazitätsmessung, Übung mit dem Morsetelegraph und Übung mit einem sogenannten Kristalldetektor


Elektrotechnikpraktikum, ca. Ende der 50er Jahre
Modellregelkreis, ca. Ende der 50er Jahre

Von der Ingenieurschule bis zum heutigen Bereich Informations- und Elektrotechnik

Doch bereits im Oktober 1945 wurde der Lehrbetrieb nunmehr an der Ingenieur­schule Wismar in der Abteilung Elektrotechnik mit den Studieneinrichtungen Elektrische Maschinen, Elektrische Anlagen und Fernmeldetechnik wieder auf­genommen. Zu den ersten Studenten zählte damals Gerhard Wunsch, der voller Enthusiasmus und unter schwersten Bedingungen der Nachkriegszeit das Studium aufnahm. Als Hochschullehrer profilierte er sich später an der TU Dresden durch seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Systemtheorie zu einem international geachteten Wissenschaftler. Anlässlich des Jubiläums der Ingenieur­ausbildung und mit der Etablierung als Technische Hochschule Wismar wurde Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Wunsch im Mai 1989 die Ehrendoktorwürde verliehen.

Die Profilierung der Hochschule Wismar äußerte sich in verschiedenen Namens­änderungen, z. B. Ingenieurschule für Maschinenbau Wismar oder Fachschule für Schiffbautechnik Wismar u.a.. Zwischenzeitlich wurde die Elektrotechnikabteilung nach Mittweida verlegt und in Wismar die Schiffselektrotechnik als Studien­einrichtung gegründet.

Schwingprüflabor Haus 16 – Schwingungsprüftisch für Zuverlässigkeitsuntersuchungen, ca. 1983. Quelle: Hanjo Volster, Wismar
Arbeitsgruppe Schwingprüftechnik – Messungen an Intergrationsverstärkern, ca. 1983. Quelle: Hanjo Volster, Wismar

Im Jahre 1958 erfolgte die Umbildung zur Ingenieurschule für Schwer­maschinen­bau und Elektrotechnik Wismar mit dem Ziel der Ausbildung von Absolventen und Absolventinnen für maritime Bereiche. Die Abteilung Elektrotechnik widmete sich dabei den Fachrichtungen Schiffselektrotechnik sowie Anlagen- und Gerätebau. Mit Gründung der Ingenieurhochschule Wismar (1969) vollzog sich eine weitere Entwicklung, die durch intensive Lehr- und Forschungstätigkeiten gekennzeichnet war. Die Sektionen Technologie der Elektrotechnik/Elektronik wurde gegründet. Verbunden war damit die Ausstattung der Sektionen mit modernen Geräten, die für längere Zeit die Laborausrüstung beherrschte. Das Studium begann mit der Fach­richtung Elektroniktechnologie und wurde nach zwei Jahren mit der Fach­richtung Informationstechnik fortgesetzt. Die Fachrichtung Elektrotechnik kam 1976 hinzu.

Mit der Verleihung des Promotionsrechtes an die Hochschule im Jahre 1979 ent­wickelte sich die Sektion zu einer Stätte intensiver Forschung. Zahlreiche Dokto­randen arbeiteten ihre Dissertationen in den Laboren der Elektrotechnik aus. Forschungsaufgaben wurden für die Industriebetriebe durchgeführt und deren Ergebnisse regelmäßig auf wissenschaftlichen Tagungen vorgestellt.

Werbebroschüre der Hochschule Wismar, ca. 1985. Quelle: Uwe Hansen, Privatsammlung
Labor Automatisierungstechnik nach 1998
Labor Automatisierungstechnik nach 1998

Als typische Forschungsschwerpunkte bildeten sich damals heraus:

  • Zuverlässigkeitsuntersuchungen und Modellbildung
  • Datenübertragung
  • Kranautomation
  • Nachrichtenübertragungstechnik
  • Rechnergestützte Vermittlungstechnik,
  • Digitale Signalverarbeitung
  • Dünnschichttechnologien-Verbindungstechniken
  • Robuste Regelungen
  • Automation

Fachgebietsübergreifend gestaltete sich an der Hochschule die Automation des Containerumschlages. Maßstabsgerecht wurde hierzu ein Containerkranmodell aufgebaut.

Mit Umwandlung der Ingenieurhochschule Wismar in die Technische Hochschule Wismar 1988 erhielt die Hochschule auch das Promotionsrecht zur Promotion B (Habilitation). Die Sektion Elektrotechnik wurde 1990 in Fakultät Elektrotechnik umbenannt und das Studium im Studiengang Elektrotechnik mit den Studien­richtungen Informationstechnik, Technische Informatik, Elektroenergietechnik sowie Automatisierungstechnik fortgeführt.

Die Einführung des Bachelor-/Mastersystems im Jahr 2004 brachte zwar didak­tische Lehrveränderungen und damit auch eine vielfältigere Studienstruktur mit sich, die genannten sehr erfolgreich agierenden Studienrichtungen finden sich aber bis heute in den wählbaren Kompetenzfeldern des Studiengangs Informations- und Elektrotechnik und im eigenständigen Studiengang Angewandte Informatik wieder. Mit der Wiedereinführung der Schiffselektrotechnik im Jahr 2013, mit ihrer zweigeteilten Ausbildung in Wismar und am Bereich Seefahrt in Warnemünde, wurde die charakteristische praxisnahe Ausbildungsstrategie ebenfalls gestärkt.

Damit bildet die bereits 1908 etablierte strategische Schwerpunktsetzung einer wissenschaftlich-praktischen Ausbildung ein kontinuierliches, erfolgreiches Band bis zum heutigen Bereich Informations- und Elektrotechnik.

Labor Lichtwellenleiter‐Übertragungstechnik, 2020

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